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A review by tinido
L'Argent by Émile Zola
challenging
dark
emotional
informative
sad
tense
medium-paced
- Plot- or character-driven? A mix
- Strong character development? It's complicated
- Loveable characters? It's complicated
- Diverse cast of characters? No
- Flaws of characters a main focus? Yes
4.75
Es fühlt sich seltsam an, für einen Zola-Roman eine Rezension zu schreiben aber dann denke ich mir: Pourquoi-pas, Roman ist Roman. Und so stabil ist der Kanon und das kulturelle Gedächtnis eh nicht mehr. Deswegen hier meine Eindrücke und Gedanken:
Gekauft habe ich mir das Buch vor ewigen Zeiten, irgendwann in den Nuller Jahren. Empfohlen hat es der damalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank: Wenn man aufmerksam Zolas Geld läse, erhielte man eine solide Grundidee vom Finanzkapitalismus und Börsenspekulation. Beim ersten Anlauf bin ich an meinem Französisch gescheitert, dass auch schon ganz ohne diesen Börsenjargon an seine Grenzen kam. Nach zwei Jahren lesen der Goncourt-Preis-Verdächtigen hat sich mein Französisch offenbar so verbessert, dass mich Zolas Französisch nicht mehr aus der Bahn geworden hat. Und für den Börsenjargon gibt es in meiner Ausgabe ein sehr gutes Glossar, den Rest habe ich mir im Internet zusammengesucht. Ich würde auf jeden Fall, auch wenn man eine deutsche Übersetzung liest, eine Ausgabe empfehlen, in denen die Börsen-Techniken und -Praktiken erklärt werden. Man kann den Roman auch ohne Vertiefung in die Börsenspekulation mit Spaß lesen, aber man verpasst auch etwas davon, wie großartig Zola die Börsenlogiken verwendet, um den Plot aufzubauen und quasi hinter dem Rücken der Hauptfigur(en) ins Rollen zu bringen. Wie der Roman die Bewegungen an der Börse erzählt, finde ich tatsächlich das Großartigste daran: Viele Literaturtheoretiker*innen, gerade aus der modernistisch-avantgardistischen Schule, sagen ja gerne, man könnte solche abstrakten Bewegungen des Kapitals gar nicht klassisch erzählen, weil das eben alles so abstrakt sei. Ich finde, Zola zeigt hier, dass man das sehr wohl kann, wenn man es halt kann. Dass es natürlich auch eine "menschliche" Handlung gibt, sogar z.T. abseits der Börsengeschäfte, spricht da gar nicht dagegen. Denn was Zola auch sehr glaubwürdig macht, ist wie diese Abstraktionen im Leben und im Fleisch der Protagonist*innen konkret werden und sie als Figuren eigentlich überhaupt erst erzeugen – bis hinein in ihre Sexualität.
Sex kommt in L'argent im Grunde wirklich nur als Sexarbeit vor, Begehren richtet sich primär auf Geld / Reichtum bzw. Sex und Geld sind extrem eng miteinander verbunden. Aber der Gewinner ist am Ende der, der immun gegen diese Verbindung ist – aber nicht generell gegen Gefühle. Dass Baron Gundermann sich nicht in eine reine Abstraktion verwandelt hat, eine reine Geldmaschine, das zu übersehen bzw. misszuverstehen, macht die eigentliche Schwäche der Hauptfigur, Saccard aus. Gleichzeitig bleibt Gundermann auch für die Leser*in extrem opak, was aber – denke ich – beabsichtigt ist.
Auf jeden Fall ein toller Roman, sollte jede*r, di*er sich für den Zusammenhang von Kapitalismus und Gesellschaft interessiert, lesen.
Gekauft habe ich mir das Buch vor ewigen Zeiten, irgendwann in den Nuller Jahren. Empfohlen hat es der damalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank: Wenn man aufmerksam Zolas Geld läse, erhielte man eine solide Grundidee vom Finanzkapitalismus und Börsenspekulation. Beim ersten Anlauf bin ich an meinem Französisch gescheitert, dass auch schon ganz ohne diesen Börsenjargon an seine Grenzen kam. Nach zwei Jahren lesen der Goncourt-Preis-Verdächtigen hat sich mein Französisch offenbar so verbessert, dass mich Zolas Französisch nicht mehr aus der Bahn geworden hat. Und für den Börsenjargon gibt es in meiner Ausgabe ein sehr gutes Glossar, den Rest habe ich mir im Internet zusammengesucht. Ich würde auf jeden Fall, auch wenn man eine deutsche Übersetzung liest, eine Ausgabe empfehlen, in denen die Börsen-Techniken und -Praktiken erklärt werden. Man kann den Roman auch ohne Vertiefung in die Börsenspekulation mit Spaß lesen, aber man verpasst auch etwas davon, wie großartig Zola die Börsenlogiken verwendet, um den Plot aufzubauen und quasi hinter dem Rücken der Hauptfigur(en) ins Rollen zu bringen. Wie der Roman die Bewegungen an der Börse erzählt, finde ich tatsächlich das Großartigste daran: Viele Literaturtheoretiker*innen, gerade aus der modernistisch-avantgardistischen Schule, sagen ja gerne, man könnte solche abstrakten Bewegungen des Kapitals gar nicht klassisch erzählen, weil das eben alles so abstrakt sei. Ich finde, Zola zeigt hier, dass man das sehr wohl kann, wenn man es halt kann. Dass es natürlich auch eine "menschliche" Handlung gibt, sogar z.T. abseits der Börsengeschäfte, spricht da gar nicht dagegen. Denn was Zola auch sehr glaubwürdig macht, ist wie diese Abstraktionen im Leben und im Fleisch der Protagonist*innen konkret werden und sie als Figuren eigentlich überhaupt erst erzeugen – bis hinein in ihre Sexualität.
Sex kommt in L'argent im Grunde wirklich nur als Sexarbeit vor, Begehren richtet sich primär auf Geld / Reichtum bzw. Sex und Geld sind extrem eng miteinander verbunden. Aber der Gewinner ist am Ende der, der immun gegen diese Verbindung ist – aber nicht generell gegen Gefühle. Dass Baron Gundermann sich nicht in eine reine Abstraktion verwandelt hat, eine reine Geldmaschine, das zu übersehen bzw. misszuverstehen, macht die eigentliche Schwäche der Hauptfigur, Saccard aus. Gleichzeitig bleibt Gundermann auch für die Leser*in extrem opak, was aber – denke ich – beabsichtigt ist.
Auf jeden Fall ein toller Roman, sollte jede*r, di*er sich für den Zusammenhang von Kapitalismus und Gesellschaft interessiert, lesen.
Graphic: Child abuse, Death, Domestic abuse, Drug abuse, Drug use, Physical abuse, Rape, Sexual violence, Suicide, Antisemitism, Grief, and Sexual harassment